Wenn bösartige Tumore im Mastdarm rechtzeitig erkannt und vollständig entfernt werden, bestehen gute Aussichten auf eine vollständige Heilung.

Dickdarmkrebs gehört zu den häufigsten Krebsarten. Die Frage, die Patienten mit Tumoren im Mastdarm, dem untersten Bereich des Dickdarms bis zum Schließmuskel, am meisten bewegt ist: „Muss ich nach einer Operation mit einem künstlichen Darmausgang leben?“ Prof. Dr. med. Rolf B. Schlumpf ist Spezialist für Viszeralchirurgie mit Privatpraxis an der Klinik Hirslanden in Zürich und ist Leiter der Viszeralchirurgie im Spital Männedorf in der Schweiz. Er kann viele seiner Patienten beruhigen: „Natürlich sind die Heilungschancen abhängig vom jeweiligen Stadium der Krebserkrankung. Aber mit Hilfe der modernen Operationstechniken können wir künstliche Darmausgänge in den meisten Fällen verhindern.“ Gemäß internationalen Richtlinien ist ab einem Alter von 50 Jahren eine präventive Dickdarm-Spiegelung auch ohne irgendwelche Symptome zu empfehlen – und sie kann lebensrettend sein. Spätestens aber wenn Blut im Stuhl in Erscheinung tritt, sollte eine Spiegelung durchgeführt werden. Ergibt sich daraus ein tumorverdächtiger Befund, z.B. im Mastdarm, ist zunächst eine Gewebeentnahme (Biopsie) erforderlich. Daraufhin wird zum Ausschluss möglicher Fernmetastasen in Lunge und Leber eine Computertomographie durchgeführt. Im nächsten Schritt wird durch eine Magnetresonanztomographie bzw. eine Endosonographie (Ultraschall im Mastdarm mit einer speziellen Sonde) die Tumorausdehnung analysiert und überprüft, ob und in welchem Ausmaß die Lymphknoten befallen sind.
Nach Möglichkeit minimalinvasiv
Die Besonderheit beim Mastdarm ist seine spezielle Lage. Das obere Drittel liegt noch in der Bauchhöhle in enger Lagebeziehung zu anderen Organen. Zwei Drittel aber liegen unterhalb. Für Karzinome im unteren Bereich kommen zusätzliche Therapiemöglichkeiten in Frage, erklärt Prof. Schlumpf: „Wenn bei einem Patienten beispielsweise ein Tumor mittlerer Größe sowie Lymphknotenmetastasen nachgewiesen sind, wird zunächst für die Dauer von zwei bis drei Monaten eine kombinierte Radio- und Chemotherapie durchgeführt, um die Größe des Tumors zu verringern und eine weitere Verbreitung von Metastasen zu verhindern. Danach wird das Karzinom operativ entfernt“. Wann immer möglich wenden Prof. Schlumpf und sein Team minimalinvasive Operationstechniken an. Für die Entfernung eines Tumors in den unteren zwei Dritteln des Mastdarms ist die modernste Technik die kombinierte transanale und laparoskopische Operation. Dabei operieren zwei Teams gleichzeitig. Das eine Team operiert mit Hilfe einer 3D Optik endoskopisch durch den After. Dabei wird der Darm innerlich knapp oberhalb des Afters durchtrennt und dann der tumorbefallene Abschnitt in höchst präziser, 3D-visualisierter Technik mit den umgebenden Gewebehüllen, einschließlich der lokalen Lymphknoten ausgelöst. Das zweite Team arbeitet „von oben“ mittels der laparoskopischen Operationstechnik. Durch kleine Schnitte am Bauch werden Video-Optik und Instrumente in die Bauchhöhle eingeführt. In der Bauchhöhle wird der Dickdarm und der obere Teil des Mastdarms aus seinen natürlichen Verbindungen gelöst. Der ganze Mastdarm mit seinem umgebenden Gewebe kann dann durch den After ohne zusätzlichen Schnitt an der Bauchwand entfernt werden.
Nach Entfernung des erkrankten Mastdarms wird dieser durch einen nachgezogenen Dickdarmteil ersetzt und eine neue Verbindung desselben knapp oberhalb des Afters hergestellt. Früher war im Rahmen dieses Eingriffs immer ein Schnitt notwendig. Die neue Methode ist onkologisch vorteilhaft, weniger schmerzhaft, erlaubt eine raschere Erholung und ist kosmetisch optimal. Sofern allerdings Einwachsungen des Tumors in nahe gelegene Organe wie z.B. die Blase vorliegen, wählen die Spezialisten in der Regel auch heute noch die offene Operationsmethode.
Keine Angst vor einem künstlichen Darmausgang
Falls – je nach Tumorstadium – eine Bestrahlung und Chemotherapie vor der Operation erforderlich waren, wird nach der Mastdarmentfernung für einige Wochen ein vorübergehender, künstlicher Dünndarmausgang angelegt, um die neu geschaffene Nahtverbindung am Mastdarm zu schützen. Dadurch soll die Gefahr gebannt werden, dass Stuhl durch ein mögliches Leck an der Darmverbindung in das Becken gelangt und Infektionen sowie Abszesse auslöst. Bei unkompliziertem Heilungsverlauf ist nach zwölf Wochen die Rückverlegung des „Stomas“ und damit wieder ein natürlicher Stuhlgang möglich. Prof. Schlumpf weist darauf hin, dass es durchaus auch Fälle gebe, in denen ein künstlicher Darmausgang die Lebensqualität steigere: „Wenn ein Mastdarmkarzinom z.B. sehr nah am After liegt oder gar in den Schließmuskel eingewachsen ist, bleibt keine Alternative zum künstlichen Darmausgang. Das gleiche gilt insbesondere bei bereits bestehender Stuhlinkontinenz. Ich höre von meinen Patienten immer wieder, dass der Umgang mit einem künstlichen Darmausgang viel einfacher sei, als sie es sich vorgestellt hatten. Vor allem Patientin mit Stuhlinkontinenz gewöhnen sich sehr gut dran und sind dankbar für die zurückgewonnene Lebensqualität“.
Bestmögliche Schonung des vegetativen Nervensystems
Das Risiko, dass es durch die Mastdarmresektion selbst zu einer Stuhlinkontinenz kommt, schätzt Prof. Schlumpf als „eher selten“ ein. In den ersten Monaten kann es zu sehr plötzlich auftretendem Stuhldrang oder dem sogenannten „fraktionierten Stuhlgang“ kommen, bei dem die Betroffenen nur geringe Mengen („Ziegenkötel“) ausscheiden. Diese Symptome verschwinden in der Regel innerhalb eines Jahres. Auch die Beeinträchtigung der Sexualfunktion sei – wenn überhaupt – nur von geringer Dauer, beruhigt Prof. Schlumpf: „Durch die minimalinvasiven Operationsmethoden wird das Nervensystem bestmöglich geschont. Bei Männern kann es für einige Monate nach der Operation zu Erektionsstörungen kommen. In diesem Fall kann man sich natürlich kurzfristig mit Viagra aushelfen. Für Frauen bedeutet es in der Regel für einen gewissen Zeitraum weniger Genuss beim Geschlechtsverkehr. Allerdings ist dies – wie gesagt – meist nur von überschaubarer Dauer.“
Bei der frühen Diagnose eines Mastdarmtumors sind die Heilungschancen sehr gut. Entscheidend für das Rückfallrisiko ist der Befall der Lymphknoten, erläutert Prof. Schlumpf: Sind sie nicht betroffen, liege die Chance für eine dauerhafte Heilung bei etwa 80 Prozent und selbst bei Lymphknotenmetastasen noch bei 60 Prozent. Sollten sich Metastasen z.B. bereits in der Leber gebildet haben, sinken die Heilungschancen auf 30 Prozent. Um bei fortgeschrittenen Stadien eine erneute Tumorbildung zu unterbinden, wird häufig nach der erfolgten Operation eine Chemotherapie angeordnet.
Die Zukunft liegt in der individuellen Tumorbekämpfung
Für die Zukunft wünscht sich Prof. Schlumpf Techniken, die es ermöglichen, die Tumoren noch genauer zu klassifizieren: „In fünfzehn bis zwanzig Jahren können wir sicher im Rahmen von individuellen Tumortypisierungen festlegen, in welchen Fällen eine reine Radio-/Chemotherapie ausreicht und in welchen Fällen ein chirurgischer Eingriff notwendig ist. Heutzutage gehen wir mit einer Operation auf jeden Fall den sicheren Weg.“ Große Hoffnungen setzt der Viszeralspezialist auch auf die Weiterentwicklung der Immuntherapie. Während bei einer Chemotherapie zur Zeit der gesamte Körper „unter Artilleriebeschuss“ stehe, so Prof. Schlumpf, werde es in Zukunft voraussichtlich möglich sein, Antikörper der jeweiligen Tumorzellen einzusetzen. Dadurch werde es möglich sein, nur die Tumorzellen zu vernichten und gesunde Zellen zu schonen.