Menschen in jedem Alter, auch mit körperlichen Einschränkungen und Behinderungen, reisen gerne und möchten dabei ihre Gesundheit und Vitalität bewahren.

Die Folge sind neue Herausforderungen für Reisebranche und Hotellerie: Gefragt sind innovative Nutzungskonzepte, die Tourismus, Wellness und Pflege miteinander verknüpfen.
Bereits im Juli 2017 hatte Villeroy & Boch mit Experten im Rahmen eines Werkstattgesprächs bei Designer Oliver Conrad in Düsseldorf diese Entwicklung diskutiert. Als Fortführung kamen nun im November 2017 Vertreter aus Politik, Architektur, Pflege, Hotellerie und Industrie in der Vertretung des Saarlandes beim Bund in Berlin zu der Veranstaltung „Vital-Hotel – ein Erfolgsformat für die Zukunft?“ zusammen. Im nachfolgenden Interview erläutert Dr. Thomas Hilse, der sich auf die Beratung und Unterstützung von Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens spezialisiert hat, die Kernpunkte dieses neuen Geschäftsmodells.

Herr Dr. Hilse, hat die Tourismusbranche das Thema „Best Ager“ für sich entdeckt?
Dr. Hilse: Ja, denn die sogenannten Best Ager, also Menschen jenseits der 55, sind eine sehr interessante Zielgruppe – kaufkräftig, anspruchsvoll und erfahren, auch in Sachen Reisen. Sie wünschen sich individuelle, aktive Reisekonzepte wie Wander- oder Fahrradurlaub und sind zudem stark im Wellness-Segment unterwegs – dem Tourismusbereich, der zurzeit am schnellsten wächst. Die Frequenz der Hotelaufenthalte ist hier besonders hoch, die Aufenthaltsdauer hingegen eher kurz. Die Gäste geben zwar mehr pro Übernachtung aus, erwarten dafür aber auch besondere Service- und Dienstleistungen. Auch mit Blick auf mögliche körperliche Einschränkungen oder Behinderungen.
Was bedeutet Vital-Hotel?
Dr. Hilse: Ein Vital-Hotel ist so konzipiert, dass es Menschen ermöglicht, ohne Barrieren zu reisen, ganz gleich, wie alt und wie körperlich eingeschränkt sie sind. In einem Vital-Hotel sollte sich jeder unabhängig, selbstständig und selbstbestimmt bewegen können und sich rundum wohlfühlen. Vital-Hotel bedeutet aber zugleich die Berücksichtigung der Bedürfnisse mitreisender Angehöriger oder Begleitpersonen.
Gibt es bereits Beispiele für solche Vital-Hotels in Deutschland?
Dr. Hilse: Der Begriff ist noch nicht eindeutig definiert. Aber wenn Sie ihn googeln, finden Sie jede Menge Häuser, die sich selbst als „Vital-Hotel“ bezeichnen, eigentlich aber Wellness-Hotels mit den entsprechenden Spa-Angeboten wie Sauna, Whirlpool oder Massagen sind. Daneben gibt es barrierefreie Hotels wie das Haus Rheinsberg Hotel am See, das bereits Ende der 1990er Jahre eigens für Menschen mit Behinderung, ihre Partner, Kinder und Freunde gebaut wurde. Hier ist man wirklich bis ins kleinste Detail in die Thematik eingestiegen und setzt in besonderer Weise auf Komfort und Service.
Wäre es sinnvoll, für den Begriff „Vital-Hotel“ feste Kriterien zu vereinbaren oder sogar ein Label bzw. eine Zertifizierung zu kreieren?
Dr. Hilse: Klare Kriterien und Richtlinien sind sicher wünschenswert, insbesondere, um dem Gast konkrete Informationen und Entscheidungshilfen an die Hand zu geben. Ob sich daraus eine Marke oder Zertifizierung entwickeln lässt, ist schwer einzuschätzen. Eigentlich sollten innovative Hotelkonzepte aus Prinzip „vital“ sein.
Was kann nun ein Industrieunternehmen wie beispielsweise Villeroy & Boch dazu beitragen, damit aus einem Hotel ein Vital-Hotel wird?
Dr. Hilse: Das Vital-Hotel-Konzept à la „Tourismus für alle“ bietet viele Möglichkeiten und besitzt ein großes Potenzial. Die Industrie kann beispielsweise Produkte mit intelligenten Assist-Funktionen beisteuern, die Hilfe leisten, wenn sie nötig ist, und ansonsten nicht auffallen. Damit das klappt, müssen sich die Produktentwickler und Designer intensiv mit der Zielgruppe beschäftigen und genau eruieren, welche Bedürfnisse die Menschen haben und was tatsächlich gebraucht wird. Erst dann kann sinnvoll und nutzerorientiert entwickelt werden.
Die Produktdesigner haben also den Nutzer besonders im Fokus. Welche Gestaltungsprinzipien müssen eingehalten werden, um dem Anspruch „Vital-Hotel“ gerecht zu werden?
Dr. Hilse: Oberstes Gestaltungsprinzip sollte selbstverständlich eine hohe Designqualität sein. Die Produkte müssen gut aussehen und dabei mehr können. Sie müssen einfach zu verstehen und zu bedienen sein und dabei ausgesprochen komfortabel. So wie beispielsweise das neue Dusch-WC ViClean-I 100 von Villeroy & Boch, dem man von außen gar nicht ansieht, dass es eine Dusch-Funktion hat. Oder eine bodengleiche Dusche. Die ist barrierefrei und passt hervorragend in eine moderne Inneneinrichtung, ermöglicht also selbstbestimmte Mobilität und bietet gutes Design.
Ihre Beispiele betreffen in erster Linie das Bad. Sehen Sie darüber hinaus Bereiche im Vital-Hotel, in denen spezielle Produkte für Gäste mit körperlichen Einschränkungen eingesetzt werden sollten?
Dr. Hilse: Natürlich, davon gibt es jede Menge. Das fängt ja bereits beim Raumkonzept an, mit breiteren Türen und Gängen sowie Rampen statt Treppen. Auch die Gästebetten können mit Zusatzfunktionen ausgestattet werden, beispielsweise verstellbaren Liegezonen oder Höhenanpassungen. Für Menschen mit Hörbeeinträchtigung können optische Zeichen, etwa beim Telefon oder Anklopfen, für Sehbehinderte umgekehrt Töne und akustische Signale eine bessere Orientierung schaffen. Oder im Restaurant: Hier kann Geschirr mit ergonomischen Henkeln oder cleveren Vertiefungen im Teller eigenständiges Essen ermöglichen, selbst dann, wenn die Feinmotorik nicht (mehr) so gut ist.
Wie weit sind wir Ihrer Meinung nach vom Vital-Hotel entfernt, und kann das Vital-Hotel ein Erfolgsformat für die Zukunft sein?
Dr. Hilse: Ich denke, wir sind auf dem Weg. Barrierefreiheit ist bereits heute in der Hotellerie ein wichtiges Thema. Aber das Vital-Hotel will seinen Gästen mehr bieten als barrierefreie Zimmer und Bäder: Individuelle Service- und Dienstleistungen sind gefragt, selbstverständlich inklusiv und ohne Ausgrenzung oder Stigma. Denn Reisen und Hotelaufenthalte sollen auch für körperlich eingeschränkte Menschen, ganz gleich welchen Alters, selbstverständlich sein und ihnen Spaß machen. In diesem Sinne würde ich mir wünschen, dass das Format des Vital-Hotels den Hotel-Standard der Zukunft definiert.
Zur Person:
Dr. Thomas Hilse ist Inhaber der HILSE:KONZEPT Management- und Kommunikationsberatung für das Gesundheits- und Sozialwesen in Haan/Rheinland. Er entwickelt und setzt Konzepte für das Marketing-, Belegungs- und Versorgungsmanagement von Senioreneinrichtungen sowie von Wohn- und Betreuungsangeboten um. HILSE:KONZEPT unterstützt zudem Industrieunternehmen beim Eintritt in den Seniorenmarkt oder beim Ausbau des Geschäftsfelds „50plus“. In zahlreichen Seminaren renommierter Anbieter und Akademien bildet Dr. Hilse Führungs- und Fachkräfte in diesen Themengebieten weiter. Er ist Lehrbeauftragter für Marketing und Management an der praxisHochschule Köln, Veranstalter des jährlichen Fachkongresses „Marketing für Senioreneinrichtungen“, Initiator des „Marketing-Preis für Senioreneinrichtungen“ und Autor zahlreicher Fach-Veröffentlichungen.