Wer chronische Einschlaf- oder Durchschlafstörungen ignoriert, riskiert Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck und Schlaganfall, Depressionen, Diabetes und sogar Krebs.

Jeder fünfte Deutsche hat regelmäßig Probleme beim Einschlafen oder Durchschlafen und viele Deutsche sind dauerhaft müde. Laut einer DAK-Studie sind Berufstätige zwischen 35 und 65 Jahren besonders betroffen: In dieser Altersgruppe leiden 80 Prozent unter gelegentlichen oder dauerhaften Schlafstörungen (Insomnie). Prof. Dr. med. Ingo Fietze ist Schlafexperte und Leiter des schlafmedizinischen Zentrums der Charité in Berlin sowie Autor des Buches „Die übermüdete Gesellschaft – Wie Schlafmangel uns alle krank macht“. Er will sich dafür einsetzen, dass Schlafstörungen auch von den Krankenkassen mehr Aufmerksamkeit bekommen und deren Therapie umfassend in den Leistungskatalog aufgenommen wird: „Wenn wir regelmäßig weniger als sechs Stunden schlafen, schaden wir unserem Körper genauso gravierend als wenn wir Bluthochdruck nicht behandeln. Neben Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Leistungsabfall steigt bei anhaltenden Schlafstörungen auch das Risiko ernsthafter Erkrankungen wie Schlaganfall, Herz-Rhythmus- und Stoffwechselstörungen bis hin zu Krebserkrankungen. Dennoch wird Insomnie häufig lange Zeit hingenommen und entwickelt sich dann zu einer chronischen Erkrankung“.
Wann müssen Schlafstörungen behandelt werden?
Wenn Probleme beim Einschlafen oder Durchschlafen ein bis drei Monate anhalten, sollten die Betroffenen einen Arzt aufsuchen. Wer zu lange wartet, riskiert, eine chronische Schlafstörung zu entwickeln, die weitaus schwieriger zu behandeln ist, warnt Prof. Fietze „Bei einer leichten Insomnie helfen zum Beispiel Verhaltensänderungen, leichte, pflanzliche Wirkstoffe und regelmäßige Auszeiten. Wer im Alltag schlecht schläft, aber im Urlaub oder am Wochenende eine problemlose Nachtruhe genießt, ist natürlich leichter therapierbar als jemand der nirgends mehr in Ruhe durchschlafen kann“. Anfällig für Schlafstörungen sind auch die genetisch veranlagten „sensiblen Schläfer“, die etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. „Sie stören sich an jeglichen ungewohnten Geräuschen, am Schnarchen des Partners und können schlecht in fremden Betten schlafen“. Die sensiblen Schläfer schlafen häufig besser allein und sollten sich ein Schlafumfeld schaffen, dass ihren Bedürfnissen am Besten entspricht, um chronische Folgen zu vermeiden.
Schlafstörungen bei Kindern
Neben seinen erwachsenen Patienten verzeichnet Schlafexperte Fietze auch immer mehr Zulauf von Kindern. Diese werden häufig von ihren Eltern gebracht, weil die schulischen Leistungen aufgrund von Dauermüdigkeit nachlassen. „Hier ist es häufig gar nicht so einfach heraus zu finden, woher die Schlafstörung rührt“, sagt Prof. Fietze. „Bei Kindern sind es häufig Einschlafstörungen. Das kann z.B. daran liegen, dass sie häufig zu spät ins Bett gehen und sich ihr Schlafrhythmus dadurch nach hinten verschoben hat“. Gerade bei Kindern ist es wichtig, sich Gedanken über eine angemessene Therapie zu machen, rät der Schlafexperte. Unser Schlafverhalten entwickelt sich bis zum 23. Lebensjahr. Und danach gilt grundsätzlich: Ist die Schlafstörung einmal chronisch, dann kann man sie nur selten heilen, sondern nur noch therapieren.
Schlafstörungen effektiv behandeln
Da unser Tagesrhythmus von Schlaf- und Wachhormonen beeinflusst wird, versucht Prof. Fietze in der Therapie, das Zusammenspiel dieser Hormone zu beeinflussen: „Die Patienten, die zu mir kommen, haben einen hohen Leidensdruck. Die meisten haben bereits alle gängigen Verhaltensregeln befolgt, diverse kognitive Therapien ausprobiert und schlafen dennoch weiterhin schlecht. Ich versuche daher medikamentös, für die Nacht mehr Schlafhormone zu schaffen bzw. die Wachhormone zu reduzieren. Natürlich fangen wir immer mit schwach wirkenden Tabletten an und ändern diese und steigern damit die Wirkung nur bei Bedarf“. Die Angst vor Schlaftabletten hält Prof. Fietze für unangebracht und übertrieben: „Viele Menschen nehmen seit ihrem 40. Lebensjahr Blutdruckmedikamente und stellen diese Therapie ja auch nicht in Frage“. Das Problem seien nicht die Schlaftabletten, sondern die fehlende kompetente ärztliche Betreuung. Dass viele Patienten sich in Drogeriemärkten oder Apotheken mit Baldrian und Co eindecken, um ihre Schlafstörungen zu behandeln, sieht der Schlafexperte gelassen: „Diese Produkte sind harmlos und wenn sie bei leichten Schlafproblemen helfen, wunderbar. Schwieriger ist es bei den sogenannten Antihistaminika. Diese blocken zwar das Wachhormon ‚Histamin’, das man auch aus der Allergologie kennt, aber machen häufig am Tag noch lange müde. Diese Präparate sollte man keinesfalls längerfristig einnehmen“.
Kann man Schlaf nachholen?
Wer in der Nacht schlecht schläft und sich müde durch den Tag quält, sehnt sich häufig nach einem Nickerchen. Ab und zu sei das auch kein Problem, sagt Schlafforscher Fietze. Aber wer regelmäßig Mittagsschlaf hält muss sich bewusst sein, dass er damit seinen Schlafrhythmus beeinflusst. Wer unter Einschlafstörungen leidet, verschärft die Problematik durch kleine Schläfchen am Tag, warnt Prof. Fietze. Menschen mit einer Schlafstörung müssten penibel darauf achten, am Tag wach zu bleiben und sich nur in der Nacht schlafen zu legen.
Neurostimulation: Das Schlafmittel der Zukunft
Schlafexperte Fietze ist sicher, dass wir in etwa fünf Jahren unseren Schlaf per Neurostimulation elektromagnetisch oder akustisch erzeugen können. Dies könne zum Beispiel über Kopfhörerelektroden geschehen, die unser Schlafzentrum beeinflussen. „Tatsächlich sind bereits diverse solcher Gerätschaften auf dem Markt“, so Fietze. „Was fehlt sind allerdings aussagekräftige Studien zur Wirksamkeit“. Im Moment sei es daher noch reine Geldverschwendung, diese Schlafstimulatoren zu kaufen.