Das Deutsche Seniorenportal im Interview mit Martin Grünitz, Regionalleiter der Region Süd-Mitte bei Korian Deutschland.

Das Deutsche Seniorenportal: Was ist den Heimbewohnern bei der Wahl eines Pflegeheimes besonders wichtig (Lage, Einzelzimmer, Arzt im Haus …)?
Martin Grünitz: Meiner Erfahrung nach wollen die meisten Senioren vor allem so nah als möglich an ihrem Wohnort bleiben, damit sie ihr vertrautes Umfeld erhalten können. Angesichts zunehmender Hilfebedürftigkeit möchten manche aber auch bewusst in die Nähe ihrer Kinder ziehen, damit diese sich leichter kümmern können. Natürlich gibt es Familien, die für sich selbst gewisse Kriterien definiert haben, beispielsweise Einzelzimmer oder die Nähe zu öffentlicher Infrastruktur, Arztpraxen, Geschäften oder Bushaltestellen. Andere wieder legen viel mehr Wert auf einen schönen Garten oder spezielle Veranstaltungsangebote, die der Senior besonders schätzt. Für alle gilt aber eines: Bei so einem schwerwiegenden Schritt zählt vor allem das Gefühl, ob man sich im Haus gut aufgehoben fühlt. Atmosphäre, herzlicher Umgangston, eine heitere, gelassene Stimmung – das sind die wichtigsten Kriterien. Ich würde jeder Familie raten, sich hier auf den ersten Eindruck und auf ihr Bauchgefühl zu verlassen. Zuwendung, Aufmerksamkeit und Wertschätzung kann man sehen und fühlen. Ein gepflegter, freundlicher Eingangsbereich, Mitarbeiter, die einen hilfsbereit beim ersten Besuch ansprechen, Bewohner und Gäste grüßen, sind die besten Indikatoren für eine gute Einrichtung. Ob es ein supermodernes Haus sein soll oder eher eine gemütliche und familiäre Einrichtung mit Charme und Charakter, das ist reine Geschmackssache, hier würde ich keine Verallgemeinerungen machen wollen.
Seniorenportal: Wenn Sie Werbung für die Korian-Heime machen müssten, was würden Sie herausstellen? Was unterscheidet sie von anderen Anbietern?
Grünitz: Wir stellen vor allem heraus, dass wir Wert auf Individualität legen, das gilt für unsere Bewohner, unsere Mitarbeiter und unsere Einrichtungen. Jedes Haus darf und soll auf Basis unserer gemeinsamen Werte ein eigenes Profil entwickeln, geprägt von der Region, der Nachbarschaft, den lokalen Partnern und verantwortlichen Leitungskräften. Gemeinsam ist unseren über 232 Häusern der Anspruch, dass wir Pflege als einen ganzheitlichen Auftrag sehen. Wir möchten unseren Bewohnern Lebensqualität bieten – so lange und gut wie möglich. Das geht über den reinen „Pflegeprozess“ weit hinaus. Wir achten bei unseren Kundenbefragungen darauf, ob sich unsere Bewohner mit ihren Angehörigen als Familie wahrgenommen fühlen. Es ist uns wichtig, dass sie sich informiert und eingebunden fühlen. Der Alltag soll für alle abwechslungsreich und individuell gestaltet sein. Dabei geht es viel um Offenheit und Transparenz. Diese Transparenz ist keine Selbstverständlichkeit in unserer Branche, so ermutigen und ermuntern wir unsere Bewohner und Angehörigen z. B: auf Bewertungsplattformen im Internet wie „Werpflegtwie“ öffentlich ihre Meinung zu sagen. Viele meiner früheren Heimleiterkollegen lehnen sowas mit Verweis auf die „Fachlichkeit“ ab, weil ein Angehöriger doch gar nichts von der Pflege verstehe und daher auch kein Urteil abgeben kann. Weit gefehlt – das Bauchgefühl stimmt meistens.
Seniorenportal: Haben sich die Ansprüche der Bewohner im Laufe der letzten zehn Jahre verändert?
Grünitz: Aber selbstverständlich. Zum einen ist es ja bekannt, dass durch die verschiedenen Reformen, der Aufenthalt in einer stationären Pflegeinrichtung auf die späteren und schwereren Phasen der Pflegebedürftigkeit eingeschränkt werden soll. Zum anderen sind die Bewohner und Angehörigen nicht mehr aus der Nachkriegszeit. Damals war es üblich vor allem dankbar und ergeben zu sein – vor allem gegenüber einer „Institution“ wie dem Heim oder dem Krankenhaus. Stichwort: strenge Oberschwester. Und wissen Sie was, ich finde das gut. Ich als Marketing-Spezialist bin schon immer der Meinung, dass Kundenorientierung, Servicekultur und die Kommunikation auf Augenhöhe im Bereich der Pflege sagen wir mal ausbaufähig ist. Dass die Bewohner und Familien das jetzt aktiv einfordern, macht mir große Freude. Dass wir mit der Zeit gehen müssen und Ausstattung, Erreichbarkeit sowie Equipment auf dem aktuellen Stand zu sein haben, versteht sich von selbst.
Seniorenportal: Hat sich die Verweildauer der Bewohner im Heim im Laufe der letzten zehn Jahre verändert?
Grünitz: Wie schon geschildert haben die Rahmenbedingungen für eine massive Veränderung gesorgt. Hier nenne ich den Ausbau an ambulanten Strukturen, sowie Tages- und Kurzzeitpflege. Dies führt natürlich dazu, dass Menschen nur noch in eine Pflegeeinrichtung ziehen, wenn es unbedingt erforderlich ist. Früher kamen die Menschen zu uns, weil sie sich sicher und geborgen fühlen wollten, die alltägliche Versorgung unzureichend war oder Vereinsamung drohte. Wie wir aus der Praxis wissen, ist der Besuch eines ambulanten Dienstes einmal pro Woche kein Mittel gegen Einsamkeit. In unseren Augen kommen die Senioren oft viel zu spät zu uns in die Einrichtungen. Sind sie mal angekommen blühen sie auf, da sie Anregungen, soziale Kontakte, unglaublich viel Ansprache und Aktivitäten bei uns erleben, nachdem sie viele, viele Jahre kaum mehr ihr Haus verlassen konnten. Dieser Trend wird durch die Gesetzgebung mit massiven Anreizen verstärkt: In der ambulanten Versorgung kann ein Pflegebedürftiger inzwischen viel höhere finanzielle Unterstützung erhalten als in einer stationären Pflegeeinrichtung – insbesondere in den unteren Pflegegraden.
Seniorenportal: In welchem Alter und mit welchem Pflegegrad kommen die meisten Bewohner?
Grünitz: Dank unserer steigenden Lebenserwartung, steigt analog auch das Einzugsalter und liegt heute bei derzeit rund 82 Jahren. Die letzte Pflegereform – PSG II – hat dafür gesorgt, dass Bewohner mit dem Pflegegrad 1 keine Leistungen für die stationäre Versorgung erhalten und die Kosten komplett selbst tragen müssen. Wenn sie zu uns kommen, haben sie dann häufig Pflegegrad 2, allerdings ist der meist nicht realistisch und der Bedarf bereits viel höher, was wir dann mit entsprechenden Höherstufungsanträgen begleiten.
Seniorenportal: Was sind die Vor- und Nachteile von großen und von kleinen Pflegeheimen?
Grünitz: Das ist im Grunde nicht viel anders als bei einem Ferienhotel: Große Anlagen sind etwas unpersönlicher, bieten aber in der Regel eine größere Auswahl an Räumlichkeiten, Aktivitäten, Möglichkeiten. Eine eigene Maltherapiegruppe oder eine Hundetherapie, Singkreis und Tanzrunde ist in einer sehr kleinen Einrichtung schwer zu etablieren, in großen Häusern gibt es das alles. Übrigens gilt das auch für soziale Kontakte – in größeren Einrichtungen ist die Chance auch größer auf einen Mitbewohner zu treffen, der ein Gleichgesinnter ist. Wen man nicht mag, kann man meiden. Aus fachlicher Sicht, würde ich immer auch daran denken, dass wir in großen Häusern auch mehr Experten und Spezialisten haben. Beim Krankenhaus ist das viel wichtiger und jeder von uns erkundigt sich, wie viele Operationen in dem entsprechenden Gebiet durchgeführt werden. Im engeren Sinne gilt das auch für die Pflege: Eine eigene Demenzstation, einen Wundmanager oder eine Palliativfachkraft, und ein Snoezelen-Raum – das kann logischerweise in einem kleinen Haus nicht vorgehalten werden, dafür kennt jeder jeden.
Seniorenportal: Was würde bei Ihnen bei der Heimauswahl den Ausschlag geben, wenn Sie für Ihre Mutter einen Pflegeheimplatz suchen müssten?
Grünitz: Das ist ganz einfach: Meine Mutter würde den Ausschlag geben. Wie schon gesagt, es geht ums Wohlfühlen und zu Hause sein. Das muss sie erleben und entscheiden.
Seniorenportal: Was genau prüft der MDK und kommt er unangekündigt? Wie schneiden die Korian-Heime bei den Kontrollen des MDK ab?
Grünitz: In einer stationären Einrichtung kommt die MDK-Prüfung immer unangemeldet, im ambulanten Dienst hingegen meldet er sich einen Tag vorher an. Die Prüfkriterien sind genau vorgegeben und auf der Seite des MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen) abrufbar. Wir liegen mit unseren Einrichtungen zumeist im Landesdurchschnitt.
Seniorenportal: Zu wenig Personal ist ein genereller Kritikpunkt. Haben Sie in ihren Heimen verbindliche Personalschlüssel?
Grünitz: Die Schlüssel sind nicht das Problem, die Personalknappheit ist es. Die Personalschlüssel werden von Kassen und Betreibern festgelegt und sind in jedem Bundesland unterschiedlich, bis zu einem gewissen Grad können sie auch mit den sogenannten Kostenträgern – Kassen und Sozialhilfe – individuell vereinbart werden. Die Heimaufsicht prüft, ob die Schlüssel eingehalten werden. Im Zuge der Pflegereform wurde auch eine wissenschaftliche Überprüfung der Personalbemessung in Auftrag gegeben. Diese soll 2020 abgeschlossen sein. Je nachdem welches Ergebnis diese Überprüfung ergibt, werden sich die Akteure dann nochmal zusammensetzen müssen. Was unabhängig von diesen Ergebnissen bleibt ist, dass wir den Beruf attraktiver machen müssen, damit wir noch genug Menschen für die Pflege gewinnen und halten. Als Korian haben wir bereits im vergangenen Jahr eine Ausbildungsinitiative gestartet. Ich persönlich habe die Arbeit mit Azubis, Bundesfreiwilligendienst und Praktikanten immer forciert und geschätzt und suche in jeder der 35 Einrichtungen, für die ich verantwortlich bin, den Kontakt zu den jungen Mitarbeitern. Da lernt man am meisten.
Seniorenportal: Wie ist die ärztliche Versorgung, gibt es Hausärzte direkt in den Häusern?
Grünitz: In Deutschland gibt es die freie Arztwahl. Deshalb kann jeder Bewohner den Arzt behalten, den er schon vor dem Heimeinzug hatte und zu dem er in vielen Jahren ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Es kommt aber auch vor, dass Bewohner, aus welchen Gründen auch immer, ihren Arzt wechseln wollen. Auf Wunsch geben wir dann Auskunft, welche Ärzte bereits Patienten in unseren Häusern betreuen. Die Entscheidung bleibt aber immer beim Bewohner oder dessen Angehörigen.
Seniorenportal: Woran liegt es, dass die Pflegeheimkosten in den einzelnen Häusern so unterschiedlich hoch ausfallen?
Grünitz: Die Heimkosten setzten sich aus den Kosten für die Pflege, den Kosten für Unterkunft und Verpflegung und den Investitionskosten zusammen. In manchen Einrichtungen kommen noch Zusatzleistungen und in einigen Bundesländern noch eine Ausbildungsumlage hinzu. Die Pflegekasse übernimmt, je nach Pflegegrad einen Teil der Kosten. Bei den Investitionskosten kommt es darauf an, wo sich die Einrichtung befindet. Ein Haus auf dem Land ist günstiger als eines in der Stadt. Auch das Alter der Einrichtung hat einen Einfluss. Der größte Kostenfaktor ist das Personal. Die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen weisen den höchsten Personalschlüssel aus. Deshalb sind in diesen Bundesländern auch die Heimkosten höher.
Seniorenportal: Wofür sind hohe Investitionskosten ein Beleg und wer kontrolliert, ob sie angemessen sind?
Grünitz: Die Investitionskosten beinhalten Miete oder Pacht und Bau- oder Reparaturkosten. Ein Neubau muss bei den Investitionskosten nicht zwangsweise teurer sein als ein Altbau, da bei diesem im Laufe der Zeit immer mehr Reparaturen anfallen. Manche Häuser werden durch öffentliche Zuschüsse gefördert, da fallen die Investitionskosten dann natürlich geringer aus.
Manche Bewohner können den Eigenanteil für ihren Heimaufenthalt nicht selbst aufbringen. In diesen Fällen übernimmt der Bezirk die Kosten – weshalb dieser auch auf darauf achtet, wie hoch eine Einrichtung die Investitionskosten veranschlagt.
Das stärkste Korrektiv ist jedoch der Markt selbst. Weist eine Einrichtung doppelt so hohe Investitionskosten aus, als der Mitanbieter zwei Straßen weiter – würde er sich selbst vom Markt nehmen.
Seniorenportal: Wie hoch ist der Anteil der Heimbewohner, die ihren Eigenanteil tatsächlich selber aufbringen können?
Grünitz: Der Anteil der Bewohner, die ihren Eigenanteil selbst aufbringen können, sogenannte Selbstzahler, liegt in Deutschland soweit ich weiß bei ca. 60% – Tendenz sinkend. Die Verbesserungen, die die GroKo beschlossen hat, werden wohl auch die Pflege für die Familien wieder kostspieliger machen, was zur Folge hat, dass die Sozialhilfe noch stärker wird unterstützen müssen.
Seniorenportal: In welche Richtung geht die Entwicklung, mehr Pflegeheimplätze oder mehr Einrichtungen für betreutes Wohnen?
Grünitz: Ich war lange Jahre Leiter unserer Seniorenresidenz Elisa in Ulm mit hochwertigem Seniorenwohnen, vielfältigem Service-Angebot sowie Ambulantem Dienst, Tagesbetreuung und Stationäre Pflege unter einem Dach. Für mich und zum Glück für unser KORIAN-Netzwerk stellt sich diese Frage daher gar nicht. Wir sehen die Zukunft in genau dieser Angebotsvielfalt und Durchlässigkeit an einem Standort. Wir werden eine ganze Reihe solcher „integrierter“ Projekte in den nächsten Jahren eröffnen – jetzt für eine breite Zielgruppe und nicht mehr fokussiert auf die eher wohlhabenden Menschen, wie das früher der Fall war. Ich habe so oft erlebt, wie dieses Konzept Schicksale erleichtert, Menschen in schwierigen Lagen hilft, weil dann die gesundheitlichen Einbrüche eben nicht automatisch bedeuten, aus seinem gewohnten Umfeld herausgerissen zu werden und soziale Kontakte zu verlieren. Und das ist ein Segen, glauben Sie mir.